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Was war nochmal ein Déjà-vu?

Gerne erinnern wir uns an die Auswärtsfahrt vor gut einem Jahr zurück, als wir als Außenseiter in Emden angetreten sind. Noch am selben Morgen meldete sich unser ehemaliger Spitzenspieler Duc krankheitsbedingt ab. Am Ende gewannen wir völlig überraschend mit 4,5:3,5, nachdem Günter in einem Turmendspiel gegen Edwin Lehmann die Oberhand behalten hatte und im Anschluss von Nazar zur Legende getauft wurde.

Ihr ahnt es: Wieder reisten wir nach Emden. Und wie auch in der vergangenen Saison hatten wir einen kurzfristigen Aderlass zu verzeichnen. Diesmal war es aber nicht Duc, sondern Dirk – deren Namen man nach drei Bier intus sowieso ähnlich ausspricht –, der krankheitsbedingt passen musste. Und so waren wir mit der Hypothek, einen unserer besten Spieler kompensieren zu müssen, erneut in Ostrfriesland. Vergleichbare Vorzeichen wie im letzten Jahr – das kann doch nur ein gutes Omen sein, oder?

Häuptling Rainer sprang in die Bresche und unterstrich nach gut eineinhalb Stunden, wieso er es verdient, als Häuptling bezeichnet zu werden. In der Eröffnung ging es zwischen ihm und dem jungen Ole de Vries noch sehr ruhig zu. Einen leichten Vorteil konnte sich Rainer dennoch erspielen, wenngleich dieser nur schwer in einen Sieg hätte umgemünzt werden können. Doch anstatt den leichten Vorteil durchzukneten, stellte Rainer in der Abgezocktheit eines erfahrenen Kriegers eine listige Falle.

Rainer zog b5 wohl mit der nachvollziehbaren Idee, die Gegenüberstellung zwischen seinen Schwerfiguren und dem weißen exponierten König auszunutzen.

De Vries nahm das vergiftete b5-Geschenk mit dem Springer an. Unser Schachhäuptling ließ sich nicht zweimal bitten und schlug mit der Dame den Springer – ein Wiedernehmen mit dem Bauern ist aufgrund der Fesselung nicht möglich. Wenig später war die Partie vorbei. Rainer bewies die Qualitäten eines Edeljokers. Die Kaponieros gingen mit 1:0 in Front.

Schachhäuptling Rainer (hinten rechts im Bild) hier bei der Ausführung seines zweiten Eröffnungszuges.

Zwischen Christoph und Eilert Janssen entwickelte sich ein offenes Spiel mit Angriffsmöglichkeiten auf beiden Seiten. Im Mittelspiel sah Christoph sich gezwungen, eine Qualität abzugeben. Doch die Qualität weniger schmälerte keineswegs seine Gewinnmöglichkeiten. Ganz im Gegenteil: Seine Figuren waren derart aktiv, dass der Computer ihm sogar einen klaren Vorteil zuschreibt. Doch ob der Komplexität der Stellung und der gleichzeitigen Führung, nahm Christoph das Remisangebot vom Schachfreund Janssen in folgender Endstellung an:

Zweimal wiederholten Christoph und Janssen ihre Züge (Le3, Dg3, Lf2, Df4 usw.), ehe sie sich auf Remis verständigten.

1,5:0,5 – es ging also sehr vielversprechend los!

Christoph (vorne) spielte mit den schwarzen Steinen das angenommene Damengambit.

Mit dem Blick aufs Brett von Kaponiero Jürgen und dem Emdener Schachfreund Peter Suren hätte man nach zwei Zügen durchaus davon ausgehen können, dass sich eine sehr dynamische Partie entwickeln würde, spielte Suren doch das unorthodoxe h5 im zweiten (!) Zug:

Jürgen aber spielte bedächtig weiter und konzentrierte sich auf einen kontrollierten Spielaufbau. Da beide Spieler kaum Fehler produzierten, ging auch die Begegnung früh Remis aus. 2:1 lautete der neue Zwischenstand.

Nach Sxg4 bot Jürgen seinem Gegner Remis an. Suren nahm es nach kurzer Überlegung an.
Wenig später, nachdem das Foto geschossen wurde, einigten sich Jürgen (rechts) und Peter Suren auf Remis.

Uns wenig ausgerechnet hatten wir uns an diesem Tag bei all der Bewunderung für unseren Kaponierinho Nazar, trat er doch am ersten Brett gegen Giorgi Giorgadze an, der im Alter von 15 Jahren eine stolze DWZ von 2353 hat. Nazar aber biss sich nicht nur in die Partie, er war drauf und dran, Giorgadze den Schneid abzukaufen.

Nazars weiße Figuren sind deutlich besser koordiniert, als die von Giorgadze. Zudem hatte Nazar einen deutlichen Zeitvorsprung, Giorgadze lebte zeitweise nur noch vom Inkrement.

Doch Spieler wie Giorgadze darf man nie abschreiben. Wie aus dem Nichts fand der junge Georgier einen taktischen Kniff, um die Partie zu drehen.

Mit Lxh3!! fand Nazars Gegner einen durchschlagenden Angriff. Hätte Nazar den Läufer geschlagen, wäre Dg5+ gefolgt nebst Sg4, Sxh3+, Kh2, Dxg4 – +.

Nazar verlor eine Qualität und wenig später auch die Partie. Wirklich sehr schade für ihn, denn da war deutlich mehr drin. Bis zum spielentscheidenden Lxh3 spielte Nazar aber fantastisches Schach. Wie ärgerlich. Eine sehr ansprechende Leistung wurde nicht belohnt. 2:2!

Unser Kaponierinho Nazar!

Martin spielte mit den weißen Steinen gegen den noch sehr jungen Nam Hoai Ta, der zuletzt bei den Königsspringern vereinsintern, aber auch im Mannschaftskampf gegen Wilhelmshaven mit guten Leistungen auf sich aufmerksam gemacht hat. Nachdem in der Eröffnung bereits die erste Leichtfigur abgetauscht wurde, erspielte sich Martin einen merklichen Vorteil.

Wenn Stellungen in Lehrbüchern bewertet werden sollen, sucht man häufig nach Schwachstellen. e6 ist ein wunder Punkt, auf den Martin in der Folge mit Db3 Druck aufbaute.

Den verwundeten Gegner konnte Martin aber nicht endgültig besiegen, vielmehr kämpfte sich Ta mit Gegenspiel am Königsflügel zurück in die Partie. Und als die Zeichen auf Ausgleich zu standen begannen, unterlief dem Emdener ein Blackout.

Tf3?? war natürlich ein Riesenpatzer, den Martin sofort bestrafte. Bitter für Ta, wunderbar für uns.

3:2-Führung!

Martin konnte seinen ersten vollen Punkt als Kaponiero bejubeln.

Da Dirk erkrankt war, rutschte Günter auf das zweite Brett hoch und bekam es mit Andreas Kerker (2192), einen der besten Spieler unseres Bezirks V, zu tun.

Günter spielte in der gemäß Engine ausgeglichenen Stellung das laut ihm zu ambitionierte Dh4?!

Kerker erkämpfte sich einen Freibauern, den er aber nur mit präzisem Spiel hätte durchbekommen können. Günter wehrte sich nach Kräften und verpasste an dieser Stelle, die geringen Remischancen zu wahren:

Günter spielte Kf6? und verfolgte damit einen falschen Plan. Besser wäre es gewesen, mit dem König nach d7 zu laufen. Und warum? Weiß ich ehrlicherweise auch nicht, sagt aber die Engine.

Als klar war, dass der b-Bauer zu stark wurde, streckte Günter die Waffen. 3:3.

Lange konnte Günter mithalten, gereicht hat es für einen halben Punkt am Ende leider doch nicht.

Während es in vielen Partien im Mittelspiel sichtlich ruhig zuging, boten sich am fünften Brett bei Klaus Peter Angriffsmöglichkeiten auf beiden Flügeln. Während Klaus Peter versuchte, am Königsflügel Druck zu erzeugen, startete sein Gegner Martin Klingenborg am Damenflügel einen Gegenangriff, der etwas mehr Durchschlagskraft hatte.

Eine Stellung voller Ungleichgewicht.

Schwarz erarbeitete sich sukzessive einen Vorteil, Klaus Peter geriet ins Wanken und musste notgedrungen eine Qualität hergeben. Das Qualitätsopfer war aber noch nicht des Weisheit letzten Schlusses, denn durch zwei aktive Springer kämpfte sich Klaus Peter zurück ins Spiel. Die letzte Ausgleichchance verpasste er im Zug 44:

An dieser Stelle zog Klaus Peter Kd4. Ein Fehler, denn dadurch konnte Schachfreund Klinkenborg Lxd7 ziehen. Was zunächst aussah wie ein Figurenopfer, entpuppte sich als kleine Taktik. Sxd7 als reflexartig logische Antwort hätte zur sofortigen Aufgabe geführt, da der Schwarzspielende mit dem Zwischenschach Td6+ problemlos den Springer auf d7 hätte schlagen können. Das Bauernendspiel wäre für Schwarz leicht zu gewonnen gewesen. Bessere Remischancen hätte unser Kaponiero gehabt, wenn er nach b4 gegangen wäre.

3:4 also, es drohte die erste Saisonniederlage.

Klaus Peter kassierte am fünften Brett mit Weiß leider eine Niederlage.

Auf der Zielgeraden hat Emden es also vermocht, das Spiel noch zu drehen. Den Königsspringern jedoch den Gefallen zu tun, den dritten Sieg im dritten Spiel einzufahren, wollten wir allerdings nicht. Nachdem ich, wie die Analyse im Nachgang gezeigt hat, über weite Strecken der Partie schlechter stand, tauschten Schachfreund Edwin Lehmann und ich unsere Figuren in ein ausgeglichenes Turmendspiel ab. Und in diesem unterlief Lehmann ein kleiner, aber entscheidender Fehler. Déjà-vu?

In dieser Stellung zog er nämlich h7?? Fatal, wie sich herausstellte. Ich antwortete mit c4!, gefolgt von Te8, Txh7, Txe5 und Th1+. Den König drängte ich auf die e-Linie ab; zugleich schnappte ich mir den c2-Bauern.

Weil mein König auf den Schlüsselfeldern postiert war, konnte ich den Bauern bei technisch richtigem Spiel problemlos durchdrücken.

Wie wichtig Technik sein kann, zeigte sich in dem Endspiel. Den weißen König habe ich abgeschirmt. Mein Monarch kroch aus seinem Versteck hervor und pirschte sich im Zickzackkurs nach vorne. Sobald dieser auf der vierten Reihe steht und der weiße Turm Schach gibt, wirft sich mein Turm dazwischen. Die Brücke ist gebaut, die Umwandlung des Bauern ist unvermeidlich.
Richtig gefräßig wurde ich erst, nachdem ich in der Pflicht stand, das Turmendspiel gewinnen zu müssen. Davor war mein Schach eher pomadig.

Ganz in Erinnerung an die Endspieltechnikkünste unserer Legende, baute ich die Brücke, die es bedarf, um die Partie zu gewinnen. Lehmann gab wenig später auf. 4:4 – ein Unentschieden, mit dem wir durchaus zufrieden sein können. Im Gegensatz zum Mannschaftskampf gegen Wilhelmshaven waren wir heute nominell der Außenseiter. Vor allen Dingen die Bretter eins und zwei bei Emden mit Giorgadze und Kerker haben es einfach in sich. Und weil Dirk kurzfristig krankheitsbedingt ausgefallen war, hatten wir den Mannschaftspunkt nicht unbedingt auf der Rechnung. Umso schöner fühlt es sich doch an, aus der Geburtsstadt Otto Waalkes etwas mitgenommen zu haben. „Mit dem 4:4 können wir sehr zufrieden sein. Es hätte auch leicht ein Verlust werden können, wenn man bedenkt, dass mein Gegner einen groben Fehler gemacht hat“, urteilte Martin.

Anfang Dezember wartet dann die nächste schwere Aufgabe. Wir empfangen den Ligaprimus Hagen, der am vergangenen Sonntag Ammerland II mit 7,5:0,5 nach Hause geschickt hat.

Und was bleibt, sind die haltlosen Worte eines Kaponierinhos, der vor einem Jahr Günter wegen seiner Endspielkenntnisse zur Legende gehievt hat, während er meine Turmendspielfähigkeiten als Glück bezeichnete…

Also doch kein Déjà-vu, und das in vielerlei Hinsicht.

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